Zum Anklicken: Festnahme-Verlauf in 4 Zeichnungen
 

                        F e s t n a h m e   4. November 1986
 
 


 

Nachdem Frank Willmann und ich in den bei der Maltätigkeit üblichen 7 bis 10 Metern Abstand den Strich am Zaun des Lenné-Dreieck gezogen hatten, erreichte ich als erster wieder die Beton-Mauer, die nach Ende des Lenné-Zauns mit einem kurzen Stück Richtung Westberlin hervorstand und dann nach links abging. Als Willmann seinen Strich  an meinen Strichstartpunkt angeschlossen hatte suchte er sich einige Meter vor mir einen neuen Startpunkt, an den ich ebenfalls bald mit meinem Strich aufschloß, um mir -an ihm vorbei-
gehend-  meinerseits meterweit vor ihm einen neuen Startpunkt für einen weiteren Ab-
schnitt für den zu ziehenden Strich zu suchen. Den hatte ich dann gerade einige Meter gezogen, als die Aktion auf drastische Weise ihr Ende fand. Jürgen Onißeit schob zu dieser Zeit den Utensilien-Wagen über Tiergartens Wege, sein Bruder lernte vermutlich gerade Linksabbiegen bei seinem Fahrlehrer und Frank Schuster saß in irgendeinem Wartezimmer.
"Wolfram !" rief der einige Meter rechts von mir entfernte Willmann, der möglicherweise durch die optische Distanz und schräge  Perspektive zu der plötzlich auftretenden Gefah-
renquelle diese von seinem linken Augenwinkel aus bemerkt hatte. Vielleicht hatte er auch gerade mit dem Pinsel  neue Farbe aus dem Eimer aufnehmen wollen und sich deshalb nach links zu drehen begonnen und so die Blick-Fixierung auf die Mauer unterbrochen. Als ich mich auf Willmanns Ruf hin kurz zu ihm nach rechts drehte und ihn noch im Moment des Rufs in seinem hellgrauen Mantel davonhuschen sah, drehte ich mich daraufhin sofort nach links um und fand mich mit drei vor mir stehenden Grenzposten konfrontiert, die mich unter Androhung von Waffengewalt zum Mitkommen zwangen. Es waren nicht nur die Sekunden zwischen  Willmanns "Wolfram !" und meinem Gewahrwerden der drei Grepos, die mir nun zur Flucht fehlten, es waren auch die schätzungsweise die Meter, die Frank Will-
mann von der unmittelbaren Gefahrenquelle entfernt gewesen war, welche mir nun fehl-
ten. Angesichts der Aussichtslosigkeit der Situation dachte ich sofort an die Aussagen der Westberliner Polizei und ging -ähnlich wie der sich später dazu äußernde Frank Schuster- davon aus, daß ich nach zwei Wochen wieder frei sein würde.

Es ist richtig, daß die Grenzposten aus einem kleinen Mauertürchen kamen, man muß aber hinzufügen, daß sie dies -strategisch klug- offenbar bereits eine Weile vor unserem Er-
scheinen getan hatten und sich dann im Tiergartengebüsch auf uns wartend versteckten. In diesem Fall hatte die "BZ" mit ihrer Schlagzeile "Grepos lauerten in ihrem Rücken" völlig recht. Wären die Grepos vom Lennedreieck her gekommen hätte man sie vermutlich hören können. mindestens jedoch angerannt gekommen sehen, denn trotz der optischen Fixierung auf den zu ziehenden Mauerstrich sah man ja beim Vorwärtslaufen immer auch nach vorn und nach hinten zu den anderen. Das Risiko des Scheiterns wäre also in diesem Zugriffs-Versuch für die Grepos ziemlich hoch gewesen, sodaß sie einfach auf uns warteten, um denjenigen, der als erster ihre Höhe erreichen würde, von hinten zu stellen. Starr, ruhig  und entschlossen standen sie vor mir, während Frank Willmann längst verschwunden war. Es hatte die von Willmann behauptete angebahnte Auseinanderset-
zung zwischen ihm und den Grepos nie gegeben, denn dann hätte ich es genauso mitbekommen wie Willmanns "Wolfram !" und die Grepos hätten auch nicht plötzlich so ruhig und bewegungslos hinter mir gestanden. Außer der Grepo-Gruppe, die hinter mir stand hatte es auch keine weitere, an anderer Stelle auftauchende Gruppe gegeben. Demnach ging die einzige Bedrohung von der mich festnehmenden Grepo-Gruppe aus und die war genauso weit weg von Frank Willmann. wie es dieser durch den üblichen Strichabstand von mir gewesen war.

Später stellte man einem der damaligen Grenzposten die Frage, was sie im Falle des Widerstands getan hätten. "Dann hätten wir ihn flachgelegt" antwortete er. Wohingegen sie vom flüchtenden Frank Willmann absahen, weil ihnen, wie derselbe Grenzer äußerte, der eine Festgenommene reichte, um die "Provokation" zu beenden und die Angelegenheit aufzuklären.

Ich wurde von den drei Grenzposten ins Lenné-Dreieck abgeführt, wo sich weitere Grenz-
posten befanden. Während des Weges dorthin packten mich die Posten weder am Arm  noch schrie ich meinen Namen, wie einen Tag später in einer offenbar auf Aussage der einzigen möglichen Ohrenzeugen Willmann und J.Onißeit zustandegekommenen BZ-
Schlagzeile zu lesen war. Es machte gar keinen Sinn, seinen Namen lautstark mitzuteilen,  denn die anderen Mauermaler wußten ja, wie ich hieß und Willmann hatte die sich an-
bahnende Festnahmesituation ansatzweise noch mitbekommen.

Im Lenné-Dreieck wurde ich fotografiert, gefilzt und durch ein Mauertürchen, auf dem von irgendeinem Mauermaler kurioserweise "Eintritt hier" aufgesprüht worden war, unter aggressivem Ton und gezielten Stiefeltritten auf meine Schuhhacken in den inneren Bereich zwischen Ost-und Westmauer (den sogenannten "Todesstreifen") kommandiert. Dort mußte ich in einem Wachturm -weiterhin begleitet von verbaler Aggression- mit dem Gesicht und den Händen zur Wand stehen. 

Nach einigen Minuten wurde ich, den Kopf nach unten gedrückt, um nicht zu sehen, wo ich mich befand und wo wir hinfahren würden, in einen Militärkleinbus gedrängt und mit diesem in ein Grenzpostenhäuschen auf dem Todesstreifen gebracht, wo ich in einer Zelle auszuharren hatte, ohne zu wissen, wie lange ich dort bleiben muß und was anschließend passieren würde. Schließlich holte man mich wieder heraus und brachte mich in einen Ver-
hörraum. Ich erklärte, der Strich solle die Mauermalereien durchstreichen. Eine Absicht, die ja im Grunde sogar im Sinne der DDR war, welche die Malereien immer für Schmiere-
reien, Sachbeschädigung und teilweise auch Provokationen hielt. Daß wir die Malereien durchstrichen, um ihre Wirkung auf Westberlins Leben ins Bewußtsein zurückzurufen muß-
te man dem Vernehmer ja nicht auf die Nase binden.  Eine telefonische Abfrage meiner Person ergab, daß ich etwa 2 Jahre zuvor noch in der DDR als politischer Gefangener in Haft gesessen hatte. Damit war klar, daß es sich um eine Aktion gegen die DDR handeln musste. ( MfS und Grepo agieren nach denselben Mechanismen wie westliche Journali-
sten, nur mit umgedrehter Wertung. Auch bei den Westjournalisten war klar, daß es sich bei Ex-DDR-Oppositionellen um eine Aktion gegen die DDR handeln mußte und im Unter-
schied zu Grepo und MfS  begrüßten sie eine solche Aktion  natürlich.)

Ich nannte vier Falschnamen. Ich prägte mit die Namen gut ein, damit ich sie auf Anfrage schnell und flüssig wiederholen konnte. Daraufhin wurde ich wieder in die Zelle gebracht, aus der ich weitere Minuten später herauskommandiert und daraufhin in einem Pkw nach Ostberlin zur Stasivernehmung gefahren wurde. Wir fuhren durch das Brandenburger Tor und zwei asiatische Touristinnen sahen mich. Vermutlich dachten sie, man hätte mich bei einem Fluchtversuch festgenommen.  Ich konnte nicht mitbekommen, ob sie unserem Auto noch nachsahen, denn ich durfte mich nicht umdrehen. Ostberlin kam mir unglaublich arm-
selig und grau vor. Nicht zu glauben, daß ich in dieser Stadt, als ich noch im thüringischen Weimar wohnte, für Ostverhältnisse einmal eine gewisse Großstadtlebendigkeit vorgefun-
den hatte. Andererseits ist es ja wiederum oft die Tristesse, in der sich Sehnsucht erst zusammenbraut und diese dann im günstigen Fall zum Antrieb für Revolte wird.

Angekommen in Hohenschönhausen begann eine lange, erwartet aggressiv geführte  Vernehmung. Es hilft nichts, wenn man die Unterstellungen, man sei von Geheimdiensten finanziert, bereite eine Sprengung vor oder wolle die reale Grenzlinie zur Mauer hin verschieben völlig absurd und lächerlich findet. Die Lächerlichkeit bleibt einem angesichts der Hartnäckigkeit der Vorwürfe und der Unmöglichkeit, sie zu entkräften, im Halse stecken.

Am Abend teilte mir der Vernehmer mit, daß ich verhaftet sei und gegen mich ein Er-
mittlungsverfahren wegen Grenzverletzung eingeleitet würde. Der auch bei DDR-Flucht verwendete Paragraph sah je nach Schwere der "Tat" zwischen 1 und 8 Jahren Gefängnis vor. Ich zum ersten Mal ernsthaft geschockt. Ich brach kurzzeitig zusammen, ließ mich
vom Stuhl fallen und beschimpfte den Vernehmer, bis ich schließlich in Tränen ausbrach. Alles kam innerhalb weniger Momente auf einmal zusammen: Geschocktsein, tiefe Verachtung, Trennungsschmerz , Opferbewußtsein. Die Zigarette, die ich nach meiner Raserei zur Beruhigung rauchen durfte, war in kurzer Zeit tränendurchweicht, während ich mich bereits mit meiner radikal geänderten Zukunftsperspektive halbwegs abzufinden versuchte.
Meine Westberliner Freundin befand sich  im 6.Monat schwanger. Unabhängig davon war die Aussicht auf möglicherweise fünf Jahre Haft, zumal in der DDR, ein absoluter Schock. Aus den zwei Wochen, welche die Westberliner Polizei mitgeteilt hatte wurde die Ankün-
digung einer gefühlten Ewigkeit.                             Die Festnahme in den Medien
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Fotos zur Festnahme 

Tiergarten-Seite des -Dreieck-Zaun von der Mauer aus fotografiert. Er grenzte ur-
sprünglich an ein aus der eigentlichen Mauer herausragendes Mauerstück (links) an, wur-
de aber von Westberlinern geöffnet, damit sie auch im Lennedreieck die Mauer bemalen konnten. Ganz rechts der waldige Beginn des Tiergartens, davor der Ansatz einer drei  Meter parallel zur Mauer verlaufenden Wegabbiegung, auf der sich ca 300 Meter rechts die Festnahme ereignete. Weitere circa 300 Meter vom Festnahmeort entfernt befand sich das Brandenburger Tor. Auf dem einstmaligen Spazierpfad vor der Westmauer, auf der die Festnahme und Abführung stattfand befindet sich heute eine zweispurige, vielbefahrene Straße. Durch den Bereich, der hier offen ist und es auch am 4.11.19 86 gewesen war wurde ich von den drei Grenzposten (gewissermaßen von recnts außerhalb des Bildes) ins  Lenné-Dreieck gebracht. Hinter dem links im Bild sichtbaren etwa 5 meter langenv Mauersegment, daß aus der eigentlichen Mauer rechtwinklig hervorstand durchsuchten und fotografierten mich die Grenzposten. Dort befand sich auch die kleine Mauertür, durch die die Grepos gekommen waren und durch die sie mich in den Streifen zwischen Ost-und Westmauer brachten.

Festnahmeort. Diffus sichtbar ganz hinten zwischen Wald und Mauer das Brandenburger Tor. Etwa in der Bildmitte endet der Strich, erzwungen  durch die  Festnahme. Rechts ausserhalb des Bildes befand sich während meiner Verhaftung Frank Willmann, der seinen Strichabschnitt noch nicht an meinen Startpunkt angefügt hatte. (FotoCopyright Stefan Micheel)


Der weisse Strich wurde immer in die linke Richtung gezogen. Foto eines DDR-Grepos von Westberlin aus. Deutlicher Abstand zwischen den zwei Maler-Standorten, hier an den beiden Farbeimern sichtbar. Der Strich hat eine Lücke, weil er dort nicht bis zum linken, vorangehenden Strichabschnitt zu Ende geführt ist.  Die 3 Grepos, welche den voran-
gehenden, also links postierten Mauermaler umstellten konnten nicht zugleich den an-
deren umstellen. Und eine zweite Greppo-Gruppe war nicht vorort gewesen. (Kopie MfS-Unterlagen W.Hasch)


BZ-Zeile, realítätswahr: Die Grepos rannten nicht von der Mauertür auf uns zu, sondern lauerten im Rücken und traten dann hervor, als der erste Mauermaler (ich)  ihre Höhe erreicht hatte. 


BZ, 5.11.86. Sichtbar der bereits damals geöffnete Metallzaun rechts vor der Tür. In der zwischen Quermauer und auf der linken Seite vorragendem Mauersegment wurde ich
fotografiert. Circa 200 Meter links wude ich festgenommen, weitere circa 200 Meter vom Festnahmeort entfernt befand sich das Brandenburger Tor.
 

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Festnahme-Skizze DDR-Grepos. Der Zipfel links im Bild stellt das Lenne-Dreieck dar. Rechts unten von diesem  Dreieck befindet sich  ein unterbrochene, sechseckiger Würfel, der den Ostberliner Leipziger Platz darstellt. Zwischen Lennedreieck und Leipziger Platz befindet sich die Berliner Mauer. Oben am Bildrand der kleine Kreis mit dem Schrägstrich markiert den Ort der Festnahme, von wo aus ich den nach unten führenden Strich entlang ins Lennedreieck abgeführt wurde. Das nachträglich auf die Skizze eingezeichnete F mar-
kiert die Stelle, wo ich durchsucht, fotografiert und anschließend durch eine Mauertür in einen Wachturm auf dem Mauerstreifen gebracht wurde. 
 
 


Festnahme-Foto im Mauerwinkel des Lenné-Dreieck, von den Grepos gemacht. Rechts außerhalb des Bildes befand sich das Mauertürchen, durch das ich in den Bereich zwi-
schen Ost- und Westmauer gebracht wurde. Das linke Mauersegment ist nur ca 5 Meter lang und schließt an den im oberen Bild sichtbaren, von Passanten aufgehebelten Zaun des Lennedreiecks an. Der Mauerteil rechts im Bild ist die eigentliche Berliner Mauer, aus dem das Fünf-Meter Segment als Anfang des Lennedreieck-Zaunes lediglich herausragt.
Am gleichen Ort wurde ich auch ohne Maske fotografiert. Der blasse weisse Strich oberhalb meines Kopfes stellt nicht den gezogenen weissen Strich dar, sondern ist ein Kopie-Streifen der BSTU-Kopie. (Foto DDR-Grepos, MfS Unterlagen W.Hasch)

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